Freitag, 30. Oktober 2020
30/10/20
Obgleich so viele Gedanken in meinem Kopf sind, fällt es mir schwer, diese in Worte zu fassen und einen Anfang zu finden. Beginne ich also mit etwas Allgemeinem. Meine drei Lebenskrisen. Die erste Mitte der 90er jahre, kurz nach dem Abitur, nicht wissend, wie es nun weitergehen soll. Das Jahr Zivildienst hat mich meine Entscheidung noch aufschieben lassen, als dieses Jahr dann zu Ende gewesen ist und ich im Grunde keine Vorkehrungen getroffen hatte, erinnerte mich meine Psyche sehr eindrucksvoll daran, dass ich dies ins Unterbewußtsein verdrängt hatte. Ich erinnere mich noch heute, als sei es gestern gewesen. Ich saß auf dem Bett in meinem Zimmer des Elternhauses, als ich einen leichten Schwindel bemerkte. Der Schwindel ängstigte mich, ich asoziierte ihn mit Multipler Sklerose, eine Erkrankung, die einem nahen Verwandter kürzlich zuteil geworden ist. Die Angst bäumte sich auf, überbordete zur Panikattacke - und hielt dann monatelang an. Ich konnte keinen Bezug sehen, was genau diese anhaltende Angst ausgelöst hatte. Sie war einfach da, allgegenwärtig, schnürte mir die Luft ab und nahm mir jegliche Lebensfreude. Eine erste Psychotherapie folgte, ohne wirkliche Verbesserung. Diese trat ein, als ich in meinem Leben wieder ein Ziel vor Augen hatte. Ich erhielt einen Studienplatz in meinem Wunschfach, zwar in einer anderen Stadt, aber ich hatte das Gefühl, es ging weiter. Die zweite große Krise ereilte mich rund zehn Jahre später, nachdem meine erste große Beziehung plötzlich zerbrochen ist. Viel zu schnell habe ich mich auf eine neue Beziehung eingelassen, bin übereilt mit der neuen Freundin zusammengezogen, ohne meine Vergangenheit verarbeitet zu haben. Die Panikattacke trat, ähnlich wie beim ersten Mal, völlig unvermittelt auf. Auch diesmal saß ich auf dem Bett. Es war ein freundlicher Sommertag im August, als plötzlich meine Welt dunkel wurde und die Vögel aufhörten zu singen. Dieses Mal fesselte mich die Angst mehrere Jahre. Verzweifelt versuchte ich diesem Zustand zu entfliehen. Auch dieses Mal wurde mir der Auslöser nicht bewusst. Abspaltung nennt man dies in der Psychologie, wenn Kognition und Emotion verschiedene Wege gehen. Ich trennte mich, suchte eine neue Wohnung, ging eine neue Beziehung ein, die ebenfalls krachend scheiterte, suchte erneut eine Wohnung, ging wiederum eine neue Beziehung ein, welche das gleiche Schicksal ereilte wie die Beziehungen davor. Ich kam nicht zur Ruhe, die Fessel der Angst ließ mich nicht los. Ich verlor mich in Aktionismus, in der Vorstellung, wenn ich mein Leben nur ändere, würde dieses graue Tuch der Depression von mir weichen. Ein lauer Wind blies das Tuch irgendwann hinweg, als mein Leben eine neue Richtung nahm. Das goldene Zeitalter, welches, als die Saturiertheit überhand nahm, in einer nächsten Krise endete.

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Mittwoch, 28. Oktober 2020
28/10/20
Es ist herbstlich geworden. Mit acht Grad noch nicht richtig kalt, aber kalter Nebel liegt über der Landschaft und ein feiner Nieselregen benetzt das gelb gewordene Laub der Bäume. Zeit der Melancholie, der Rückblende. Zwei No-contact-days habe ich am Wochenende hinter mich gebracht. Tatsächlich von morgens bis abends keinerlei Menschenseele. Ich fühle mich nicht einsam. Eigentlich noch nie. Ich fühle mich wohl, wenn Menschen irgendwo in meiner Nähe sind, aber den direkten Kontakt suche ich nicht zwingend. Das war schon immer so. Meine Welt ist eine vergeistigte, sie findet in erster Linie in meinem Kopf statt. In meiner Jugend ging das so weit, dass ich quasi fast ausschließlich in meiner Phantasiewelt gelebt habe. Es gibt dafür einen Fachterminus aus der Psychologie, der mir gerade nicht einfallen will. Jetzt fällt´s mir wieder ein: Maladaptives Tagträumen. Oder auch Eskapismus. Leider habe ich diese Fähigkeit verloren und ich bin gezwungen, mich im Hier und Jetzt aufzuhalten. Eine gewisse Form des Eskapismus ist mir durchaus noch zu eigen, aber sicherlich nicht mehr in dem Ausmaß, wie ich es früher praktiziert habe.
Ich möchte dieses Blog als eine Art Gedankensortierer führen, eine Art Tagebuch, wobei es eher um meine Vergangenheit geht als um das aktuelle Tagesgeschehen.
Ich blicke aus dem Fenster hinaus in den bleigrauen wolkenverhangenen Himmel, aus dem es nun anhaltend regnet.

Mein Körper schmerzt. Oder vielmehr meine Muskulatur. Sehr diffus, wenig umschrieben, fast ein bisschen wie Muskelkater oder der Schmerz, den man bei einem grippalen Infekt verspürt. Ich habe, auch wenn ich es noch immer als unangenehm empfinde, mich daran gewöhnt. Seit nun gut zwei Jahren ist der Schmerz mehr oder weniger mein Begleiter. Er behindert mich nicht im Alltag, ich kann zur Arbeit und Sport treiben. Sehr lange dachte ich, ich sei wirklich krank. Eine Odyssee aus Ärztebesuchen liegt hinter mir. Erst dachte ich, ein an sich harmloser Virusinfekt habe sich chronifiziert. Heute weiß ich, es ist psychosomatisch. Wenn sich Symptome nicht zurückbilden oder das Ausmaß der Krankheit nicht zunimmt, wenn die Beschwerden immer gleich bleiben, wenn sie spürbar zunehmen in stressigen Situationen, dann ist es naheliegend, dass die Psyche ihre Finger im Spiel hat. Lang anhaltender Stress, so wurde es mir erklärt, hat mein vegetatives Nervensystem quasi umprogrammiert. Stress führt zu erhöhter Muskelspannung und genau dieser Prozess besteht nun dauerhaft. Einen besonderen Fokus findet meine Seele offenbar in meinem Hals, genauer in meinem Kehlkopf. Etwas nicht aussprechen wollen, über etwas nicht sprechen wollen oder können, so würde es ein Psychosomatiker deuten. Ja, da ist etwas dran. Dinge, die ich seit Jahren mit mir herumtrage, verleugne, die Emotionen auslösen sollten, die ich ins Nichtwahrnehmbare abspalte. Und sich nun auf diese Art und Weise Gehör verschaffen, aber trotzdem nicht gehört werden. Es wäre nicht das erste Mal. Im Grunde bin ich erfahren mit dieser Art der Konfliktbewältigung, die sich zuvor in ganz anderen Symptomen ausgedrückt hat.

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